Bericht 2018

Sommerdiskurs aus Wirtschaft, Recht und Kultur 2018: 10-jähriges Jubiläum „Sicherheit und Rationalität"

1.-3. August 2018 | Strobl/Wolfgangsee

 

 

Georg Brameshuber, Maria Sagmeister und Felix Zopf

„Sicherheit und Rationalität“ – unter diesem Generalthema stand der Sommerdiskurs der Universität Wien aus Wirtschaft, Recht und Kultur 2018 in Strobl am Wolfgangsee, der in diesem Jahr sein 10-jähriges Jubiläum feierte. Auch in diesem Jahr bildeten Vorträge, Panels und Workshops sowie ein vielseitiges kulturelles Programm den Rahmen der dreitägigen Veranstaltung in der sommerlichen Zurückgezogenheit des Salzkammergutes.

Initiiert und konzipiert wurde der Sommerdiskurs vor 10 Jahren von Franz-Stefan Meissel (Universität Wien). Im Sommerdiskurs präsentiert sich die Universität Wien als öffentlicher Raum, als Ort der sozialen Interaktion, als Forum des Nachdenkens und der Diskussion. Aufgrund des überschaubaren Kreises der TeilnehmerInnen eignet sich der Sommerdiskus besonders zum intensiven Gedankenaustausch. Dazu bietet das jährlich parallel stattfindende Internationale Sommerprogramm der Sommerhochschule (SHS), die seit 1949 jährlich im Salzkammergut abgehalten wird, und nächstes Jahr das 70-jährige Jubiläum feiert, auch einen intensiven Austausch zwischen den Generationen. Auch in diesem Jahr bewährte sich die erfolgreiche Zusammenarbeit von Sommerhochschule und Sommerdiskurs unter der gelungenen Organisation von Nina Gruber und Verena Bauer.

Das diesjährige Generalthema „Sicherheit und Rationalität“ wurde von hervorragenden WissenschafterInnen und ExpertInnen in Vorträgen und Diskussionen auf die Rationalität kollektiver Entscheidungsfindung hin untersucht. Dabei standen die kognitive Basis individueller und kollektiver Entscheidungsfindung und die Entscheidungsfindungsprozesse aus ökonomischer Sicht im Mittelpunkt. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten „Cyber Security” und Autonome Systeme im Rahmen von Impulsreferaten und Podiumsdiskussionen.

 

Eröffnet wurde der Sommerdiskurs durch die Vorträge „Decision Making and Rational Choice from an Ecomomic Perspective“ von Martin Kocher (Institut für Höhere Studien/Universität Wien) und „How to Make Decisions? The Cognitive Basis of Individual and Collective Decision Making“ von Natalie Sebanz (Central European University). Martin Kocher behandelte dabei zentrale Elemente rationaler Entscheidungsfindung auf individueller sowie auf kollektiver Ebene. Individuen und Unternehmen sowie die Politik handeln nicht immer unter dem Postulat der rationalen Entscheidungsfindung und gehen dabei nicht immer eigennützig vor. Dadurch wird die zentrale Annahme der traditionellen Volkswirtschaftslehre, wonach der Mensch als homo oeconomicus verstanden wird, zurechtgerückt. Abschließend strich Kocher das Ziel der „Behavioral Ecomomics“ hervor, als Untersuchung der systematischen Abweichungen vom traditionellen Modell des homo oeconomicus.

Nathalie Sebanz sprach zum Einfluss unbewusster Prozesse auf die Entscheidungsfindung und zu kollektiven Entscheidungsprozessen. Sie stellte eine Reihe empirischer Studien zu beiden Fragestellungen vor und besprach sowohl Potentiale als auch Risiken der darin aufgezeigten Befunde. Kollektive Entscheidungsprozesse sind gerade für politische und gesetzgeberische Entscheidungen von Bedeutung. Auf die Rolle soziologischer Erkenntnisse für die Gestaltung von Demokratie wurde in der Diskussion eingegangen.

 

Eine Mischung aus verschiedenen Themen und Aspekten gab es bei den Impulsreferaten und der Podiumsdiskussion zu „Autonomous Systems: Opportunities, Challenges, and Risks” unter der Moderation von Klaus Taschwer (Der Standard). Den Auftakt machte Tobias Gantner (HealthCare Futurists) mit einem Ausblick in die Zukunft der Medizin. Dabei ging er vor allem auf Chancen durch „3D printed medicine“ und die Verbesserung der Diagnostik durch Algorithmen unter Zuhilfenahme von großen Datenmengen ein. Susanne Beck (Leibnitz Universität Hannover) machte den Auftakt zur Analyse von rechtlichen Problemen durch autonome Systeme. Sie strich das Problem der Diskriminierung durch Algorithmen heraus, da diese – ebenso wie Menschen – Vorurteile haben können. Anschließend thematisierte Beck das Problem der strafrechtlichen Verantwortung und stellte das Konzept der Zwischenschaltung von Menschen in den Entscheidungsprozessen vor. Dies soll weiterhin die (strafrechtliche-) Verantwortung für Handeln ermöglichen. Anschließend beschäftigte sich Iris Eisenberger (Universität für Bodenkultur Wien) mit dem maschinellen Lernen und den rechtlichen Konsequenzen. Sie zeigte anhand aktueller Bespiele die Gefahren auf und stellte die Herausforderungen bei der Regulierung dar. Helmut Hanusch (Verbandes Österreichischer Zeitungsherausgeber und -verleger) unterbrach den Reigen der juristischen Ausführungen und beleuchtete die Auswirkungen von autonomen Systemen auf den Journalismus. Hierbei wies Hanusch vor allem auf die Gefahren durch automatisierten Journalismus für die Qualität hin. Abschließend beschäftigte sich Julian Pehm (Institut für Europäisches Schadenersatzrecht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften/Vienna Doctoral Academy) mit der Frage von verschiedenen zivilrechtlichen Haftungsmodellen für autonome Systeme. Dabei zeigte er anhand verschiedener Regelungen in einigen Staaten die Vielfalt an Lösungsansätzen auf.

 

Interessante Anwendungsfälle standen im Mittelpunkt der Impulsreferate und der Podiumsdiskussion zur „Rationalität kollektiver Entscheidungsfindung“ unter der Moderation von Franz-Stefan Meissel (Universität Wien). Es berichteten Aurel Schubert (Europäische Zentralbank), Siegward Schier und Jürgen Wimmer (beide Landesverteidigungsakademie/Institut für Höhere Militärische Führung) sowie Elisabeth Lovrek (Präsidentin des Obersten Gerichtshofs/Universität Wien) aus der Entscheidungsfindung in der Praxis der genannten Institutionen. Einleitend referierte Elisabeth Lovrek über die Entscheidungsfindung in den Senaten beim Obersten Gerichtsgerichtshof. Lovrek zeigte durch einen Zeitsprung ins Römische Reich die Zeitlosigkeit des Problems auf. Wichtige Elemente für die Entscheidungsfindung sind die Zusammensetzung des Senates und die Kontinuität von Rechtsprechungslinien sowie die Rolle des Vorsitzenden. Anschließend stellte Aurel Schubert den Entscheidungsfindungsprozess der Europäischen Zentralbank dar, der unter dem Motto des „Evidence based Policy Making“ steht. Dass dies von den Präsidenten der EZB im Laufe der Geschichte unterschiedlich ausgelegt wurde, konnte in der lebhaften Diskussion nachverfolgt werden: Von Duisenberg’s „I'm here, but I don't listen“ und Trichet’s tagelangen Diskussionen bis zu Draghi’s auf maximal 90 Minuten anberaumten Sitzungen im „Executive Style“. Siegward Schier erläuterte im Anschluss die Rationalität kollektiver Entscheidungsfindung im österreichischen Bundesheer in der Theorie. Hierbei ist das Zusammenspiel zwischen dem Individuum (Kommandant) und dem Kollektiv (Generalstab) wesentlich um eine einheitliche Führung in besonderen Stresssituationen sicherstellen zu können. Um eine hohe Führungsleistung gewährleisten zu können, strich Schier das Führungsprinzip „Führen durch Auftrag“ des österreichischen Bundesheeres heraus. Dabei wird durch eine klare Auftragserteilung, der Freiheit bei der Wahl der Mittel und der Gewährleistung von selbständigen Handeln unter Umklammerung von Gehorsam, Disziplin und Initiative auf Basis von einem wechselseitigen Vertrauen das Ideal einer hohen Führungsleistung erreicht. Diesen theoretischen Unterbau bereicherte Jürgen Wimmer in seinem Impulsreferat über die praktische Entscheidungsfindung im Militär als Beitrag zur Umsetzung strategischer Interessen. Im Zentrum seines Vortrags stand Klausevits‘ Zitat „Die Schlacht muss dem Kriegszweck dienen“, dessen Aussage sich auf folgende Fragen der Entscheidungsfindung zusammenfassen lässt: Sind die Mittel (Means) ausreichend? Besteht Klarheit über die Ziele (Ends)? Besteht ausreichend Koordination (Ways) zwischen den gegebenen Mitteln und den projizierten Zielen? Tragische Beispiele der jüngeren Zeitgeschichte – von Somalia, über Rwanda bis zu Srebrenica – zeigen die Gravität der Entscheidung. Anschließend ergab sich eine interessante Diskussion mit hochkarätige DiskutantInnen DiskussionsteilnehmerInnen, die ihre Sicht aus der Praxis schilderten.

 

Nachmittags konnten die TeilnehmerInnen unter vier Workshops wählen, in denen sich jeweils in kleinerer Runde Gelegenheit zur Diskussion bot. Judith Kohlenberger (Wirtschaftsuniversität Wien) lieferte einen Einblick in philosophische Grundlagen der Erkenntnistheorie und forderte die TeilnehmerInnen zum Gedankenexperiment „Gehirn im Tank“ heraus. Oliver Rathkolbs (Universität Wien) Workshop widmete sich der Frage des Erfolgs von Volksbegehren anhand historischer Beispiele aus Österreich. Im Workshop von Bernhard Schima (Europäische Kommission) wurden Entscheidungsprozesse innerhalb der Europäischen Kommission vorgestellt und diskutiert. Um die individuelle Wahlentscheidung und die dahinterliegende Ratio ging es im Workshop von Sylvia Kritzinger (Universität Wien).

 

Der zweite Tag des Sommerdiskurses verklang würdig im Rahmen eines Kammerkonzerts mit den Mitgliedern der Wiener Philharmoniker in der Kirche in Strobl zu den Klängen von Wolfgang Amadeus Mozart. Dieses ist, wie jedes Jahr, der Öffentlichkeit zugänglich und schafft so die Möglichkeit zum Austausch mit der Bevölkerung und den Gästen des Salzkammergutes.

 

„Everyone is a potential target“ und „Fake News are the new threat“: Im Rahmen der Begrüßung und Vorstellung der ReferentInnen eröffnete Nikolaus Fórgo (Universität Wien) mit zwei Thesen zur Diskussion „Cyber Security“ den letzten Tag des Sommerdiskurses. Der Trend zeigt, dass in einer Auseinandersetzung kein Unterschied zwischen zivilen und militärischen Einrichtungen gemacht wird. Und zum zweiten: Die Bedrohungslage verlagert sich weg von traditionellen Sicherheitsproblemen hin zu infiltrierenden Aktionen, deren Eingriffe auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Diesen Thesen folgend referierten Peter Deckenbacher (Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport/Landesverteidigungsakademie), Christof Tschohl (Research Institute/Zentrum für digitale Menschenrechte), Sonja Dürager (bpv Hügel Rechtsanwälte) und Ralph Janik (Universität Wien/Vienna Doctoral Academy). Peter Deckenbacher erläuterte in seiner Funktion als stellvertretender Kommandant des Kommandos „Führungsunterstützung und Cyber Defense“ die fünfte Domäne des österreichischen Bundesheers, den Cyber-Raum. Dabei standen die Abwehr von Cyber-Angriffen und die Rolle des Bundesheeres in der Zusammenarbeit mit Polizei und Zivilgesellschaft im Zentrum seines Vortrages. Christof Tschohl ging auf die datenschutzrechtlichen Aspekte von „Cyber Security” ein. Im Kern seiner Thesen steht die Auffassung, dass Technologien sich am Menschen zu orientieren haben (Human Dignity by Design) und die Grenzen der Menschenrechte zu wahren haben (Privacy by Design). Das Fazit der jüngsten Entwicklungen: Die EU-Datenschutz-Grundverordnung hat nun Anliegen des Datenschutzes von einer gesellschaftlichen Verantwortung (social responsibility) auf die Ebene der Regelkonformität (compliance) gehoben und insofern neue Standards gesetzt. Im Anschluss referierte Sonja Dürager über „Know How“ als eine neue Erscheinungsform im Immaterialgüterrecht. Dürager ging dabei auf die technischen und organisatorischen Aspekte und Maßnahmen ein, die für das Erlangen von rechtlichem Schutz für „Know How“ erforderlich sind. Abschließend ging Ralph Janik auf die Aspekte des internationalen Rechts ein, die sich im Zusammenhang mit „Cyber Security”“ stellen. Fraglich ist, ob der Anwendungsbereich traditioneller Konzepte der staatlichen Souveränität und der staatlichen Verantwortung sowie des Kriegsvölkerrechts (ius ad bello und ius in bello) auf die „Cyber Security“ übertragen werden können. Ein weiteres Spannungsfeld wird durch die neuen Maßstäbe der „Cyber Spionage“ eröffnet. Anschließend an Tschohl stellte auch Janik die Frage, ob die universellen Menschenrechte im Zusammenhang mit „Cyber Security“ und der Bekämpfung von Fake News besonderen Anforderungen ausgesetzt sind.

 

Abgeschlossen wurde der Sommerdiskurs von einem Kunsthistorischen Gespräch mit Daniel Uchtmann (Kunsthistorisches Museum Wien), der im Werk „Gefangennahme Simsons“ von Anthonis van Dyck das Opfer aus Vernunft anhand des divergenten Heldenpaars Simson und Delila erörterte. Unter Darstellung des Werks in einer Kopie erläuterte Uchtmann in einer Gegenüberstellung mit einem Werk von Peter Paul Rubens die Emanzipation des Schülers van Dyck von seinem Lehrmeister Rubens. Darüber hinaus ist der biblische Kontext von Simson und Delila im Buch der Richter ein beeindruckendes Beispiel für die Zerrissenheit aufgrund unvereinbarer Positionen, die bis zum prototypischen Selbstmord(-attentat) führten.

 

Zum Abschluss klang der Sommerdiskurs mit einer Bootsfahrt von Strobl über den Türkis schimmernden Wolfgangsee nach St. Wolfgang und einem traumhaften Gala-Dinner im „Weißen Rössl“ in gelockerter Atmosphäre aus.