Berichte 2011

Sommerdiskurs aus Wirtschaft, Recht und Kultur 2011

3. August -5. August 2011 | Strobl/Wolfgangsee

 

 

Freiheit und Regulierung (Kurzbericht)
Franz-Stefan Meissel und Sabine Putzgruber

Sommerdiskurs aus Wirtschaft, Recht und Kultur 2011: Freiheit und Regulierung (Bericht)
Benjamin Bukor, et.al.

Freiheit und Regulierung (Kurzbericht)

Franz-Stefan Meissel und Sabine Putzgruber

 

Regulierung und Freiheit stehen nicht in Widerspruch zueinander. Die Rahmenbedingungen für freie Handlungsmöglichkeiten müssen jeweils erst geschaffen werden. Und zwar mit den Mitteln des Rechts, folglich Regulierung.

 

Beim 4. Sommerdiskurs in Strobl diskutierten heuer wieder hochkarätige Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu den Themenbereichen Regulierung des Klimawandels, Steuerung des Gesundheitssystems, Quotenregelungen in der Wirtschaft, Sicherung von Finanzmarktstabilität sowie Regulierungsaspekten im Telekommunikations- und IT-Bereich.

 

Nach der Begrüßung durch den Sommerdiskurs-Initiator Franz-Stefan Meissel (Universität Wien) hielt der renommierte Energiewissenschafter und Professor an der Yale University Arnulf Grübler den eindrucksvollen Eröffnungsvortrag, in welchem er „New Strategies for Regulating Climate Change“ nachging. Statt unverbindlicher Zielvorgaben sollten konkrete Policy commitments stehen, statt internationaler Großkonferenzen seien Allianzen einzelner Staaten anzustreben, die sich auf sektoral gemeinsame Strategien einigen, die womöglich neben der Bekämpfung des Klimawandels auch noch weiteren Nutzen (z.B. Armutsbekämpfung und Senkung vorzeitiger Mortalität) stiften. Mit Grübler diskutierten dann in der von der Sozialwissenschafterin Sylvia Kritzinger (Universität Wien) geleiteten Podiumsdiskussion Florian Ermacora von der EU-Kommission (Generaldirektion Energie), sBausparkasse-Generaldirektor Josef Schmidinger, der das ökonomische und ökologische Potential thermischer Sanierungen schilderte, sowie Alexander Van der Bellen, der von seinen jahrelangen zermürbenden Bemühungen zur Ökologisierung des Steuersystems berichtete.

 

„Frauenquoten“ werden vielfach als Eingriffe in die individuelle Freiheit empfunden. Manche beklagen sie als Ungerechtigkeit, Unternehmen sehen sie als Beschränkung ihrer Handlungsfreiheiten. Unter welchen Gesichtspunkten Quoten aber als legitim und gerechtigkeitsfördernd gesehen werden können, erläuterte die Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner (Universität Wien) am Vormittag des 4. August. Für die Wirtschaft besonders attraktiv erweist sich dabei das Argument der Steigerung der Produktivität von Boards und sonstigen Gremien, in denen sowohl Frauen und Männer vertreten sind (McKinsey-Studien zum Thema „Women matter“). Diesen Aspekt hob in der folgenden Diskussion, die von Paul Oberhammer (Universität Wien) moderiert wurde, vor allem Saskia Wallner (Geschäftsführerin von Ketchum Publico) hervor, die Frauenquoten als „vielleicht unelegantes, aber notwendiges Instrument“ verteidigte. Sowohl theoretische als auch praktische Überlegungen zum Thema brachten der Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds Michael Stampfer und der Wirtschaftsrechtler Robert Rebhahn (Universität Wien) ein.

 

Der Nachmittag des zweiten Tages des Sommerdiskurses war dem Vergleich der Regulierungsstrukturen unterschiedlicher Gesundheitssysteme gewidmet. Eine vergleichende internationale Analyse bot der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka (IHS), der insbesondere die konträr ausgerichteten Beispiele der USA einerseits und der Niederlande andererseits erläuterte. An der anschließenden Diskussion beteiligten sich der Vorstand des Arbeits- und Sozialrechtsinstituts der Universität Wien Walter Schrammel, die Sozialpolitikexperten Martin Gleitsmann (WKO), Josef Wöss (AK Wien) und Thomas Neumann (SVA Gewerbliche Wirtschaft) sowie der Geschäftsführer der SeneCura Holding Remo Schneider, der für eine bessere Abstimmung und Kommunikation unter den Stakeholdern anhand anschaulicher Beispiele aus der Praxis seiner Pflegeheime plädierte.

 

Inmitten turbulenter Ereignisse auf den Aktien- und Finanzmärkten war die Brisanz des Themas der Finanzmarktstabilisierung allen TeilnehmerInnen der mit hochrangigen Bankenaufsehern und Bankenvorständen besetzten Debatte am Vormittag des 5. August bewusst. Über Lehren aus der (und leider noch: mitten in der) Krise referierten OeNB-Direktor Andreas Ittner und EZB-Statistik-Generaldirektor Aurel Schubert. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von „gutem“ (längerfristig orientierten) und „bösem“ Investmentbanking betonte in der Diskussion die Raiffeisen Centrobank-Chefin Eva Marchart, Bedenken hinsichtlich von Basel III im Hinblick auf die kleinteilige österreichische Wirtschaftstruktur deponierte Erste Bank-Vorstand Peter Bosek. Die beunruhigende Frage, ob denn die gegenwärtige Krise überhaupt ohne Betätigung eines „Reset-Button“ (in der Vergangenheit waren das freilich meist bewaffnete Konflikte) gelöst werden könne, warf Wirtschaftsanwalt Ernst Brandl auf.

 

Dem dynamischen Bereich der IT-Wirtschaft und damit verbundenen Regulierungsfragen war der Schlussnachmittag gewidmet. Als Vortragende traten dabei Telekommunikationsregulator Georg Serentschy und der IT-Rechtler Thomas Hoeren (Universität Münster) auf. Impulsstatements der EU-Lobbyistin Irina Michalowitz (Telekom Austria Group), des Medienregulierers Florian Philapitsch (KommAustria) und des IT-Praktikers Klaus M. Steinmaurer (T-Mobile Austria) leiteten die von Nikolaus Forgó (Universität Hannover) moderierte Diskussion ein, bei der, wie schon in den Tagen zuvor, die Notwendigkeit regulatorischer Tätigkeit und zugleich deren Begrenztheit deutlich wurden.

 

Nach drei Tagen intensiven Diskurses, großer Nachdenklichkeit und Ernstes erwies sich die Lesung der Grazer Autorin Olga Flor, die aus ihrem Roman „Kollateralschaden“ vortrug, als bitter-komischer Abschluss, der, so wie auch das Kammerkonzert mit Daniel Froschauer und Philharmonikerkollegen sowie die Bildpräsentation von Velázquez‘ “Infantin“ durch den Kunsthistoriker Konrad Schlegel (Kunsthistorisches Museum) zur kulturellen Komponente des heurigen Sommerdiskurses beitrug.

 

Das in dieser Form wohl einzigartige Format des Dialogs von Universität und Wirtschaft wird im nächsten Jahr (1.-3- August 2012) mit dem Generalthema „Bildung, Geist und Gesellschaft“ Gelegenheit zur Wiederkehr an den Wolfgangsee bieten.

 

 

Sommerdiskurs aus Wirtschaft, Recht und Kultur 2011: Freiheit und Regulierung (Bericht)

Benjamin Bukor, et.al.

 

Mittwoch Nachmittag

Zum vierten Mal eröffnete Univ.-Prof. Dr. Franz-Stefan Meissel (Universität Wien) am Mittwoch, dem 3. August 2011 den dreitägigen Sommerdiskurs in Strobl am Wolfgangsee.  Wie in den Vorjahren trafen sich internationale Experten im Bürglgut des Bifeb, um in dieser einzigartigen Atmosphäre aktuelle, gesellschaftsrelevante Themen zu diskutieren. Während in den Jahren zuvor Globalisierung, Systemwandlung und Generationenproblematik im Vordergrund standen, widmet sich dieses Forum heuer dem Spannungsfeld von Freiheit und Regulierung in juristischen, wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Kontexten. Als sinnvoller und gleichsam inspirierender Ausgleich rundeten auch heuer wieder künstlerische Darbietungen das Programm ab.

Den Anfang machte ein Nachmittag zum Thema Klima und Energie. Im Eröffnungsvortrag legte Univ.-Prof. Dr. Arnulf Grübler (Yale University) die Problematik dar, die bei der Suche nach neuen, internationalen Lösungen für den Klimawandel besteht. So ging er darauf ein, warum die Vielzahl der Konferenzen und Verhandlungen in den letzten Jahrzehnten, die sich mit Emisssionsregulierung und Klimapolitik beschäftigten, zu keinen signifikanten Ergebnissen führte: Die Einbeziehung von über 170 Staaten, die Formulierung von teilweise unrealistischen Zielen und Zeitplänen und der Wunsch nach einem international Bindenden System sind, so Grübler, keine geeigneten Ansätze. Stattdessen sollte darauf gesetzt werden, zunächst die großen Verursacher von CO2-Emissionen in „Clubs“ zusammenfassen, die mit gegenseitig, unter Umständen auch nur bilateral bindenden Vereinbarungen sich gegenseitig kontrollieren. Dies ist sinnvoll, da ähnlich der bekannten Pareto-Verteilung ein kleiner Teil der Staaten einen überwiegenden Großteil der Emissionen produziert. Ebenso sollte man sich auf konkrete Steuerungsmechanismen und Umweltpolitiken, wie etwa eine Kohlenstoffsteuer einigen, anstatt abstrakte Reduzierungsziele vorzugeben. Darüber hinaus sollten kreative Maßnahmen und „win-win“ Situationen ebenso gefördert werden wie die klimafreundliche Nutzung und Lenkung von Lebensstilen, die sich schneller als Technologien ändern. In der folgenden Podiumsdiskussion diskutierte eine Runde von Fachleuten Themen in Zusammenhang mit dem Klimawandel. Dr. Florian Ermacora von der Generaldirektion für Energie der Europäischen Kommission betonte zunächst die Bedeutung von Großereignissen für das Klimabewusstsein in der Gesellschaft, wie die Ereignisse im Golf von Mexiko und Japan zeigten. Die Europäische Union, so Ermacora, verfolgt weiter das Ziel, bis 2020 20% der CO2-Produktion zu verringern, 20% der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien zu beziehen und den Energieverbrauch um 20% zu reduzieren. Nicht alle Instrumente dafür funktionieren optimal, die Vorhersagen für 2020 liegen aber nicht weit vom Ziel entfernt. Zudem sieht Ermacora die Notwendigkeit einer übernationalen Politik in Bezug auf erneuerbare Energien und viel Potential bei Energieeinsparungen bei öffentlichen Bauten. Der Vorstandvorsitzende der sBausparkasse, Dr. Josef Schmidinger, lenkte den Blick des Publikums auf den Mikrokosmos. Der Energieverbrauch der Haushalte in Österreich ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, und die Verbraucher sollen ihre Energiefreiheit wiedergewinnen. Energiefreiheit in diesem Sinn heißt, nicht mehr zu weiten Teilen von internationalen Energieformen und -märkten unabhängig zu sein. Dies werde aufgrund der sich erhöhenden Energiepreise zunehmend interessant, da die Menschen dadurch für die Notwendigkeit von Einsparungen sensibilisiert werden. So wird etwa die thermische Sanierung von Eigenheimen zunehmend in Angriff genommen, zumal auch die Rendite von Sanierungsmaßnahmen eine hohe ist und die Amortisationsdauer durch Förderungen kurz ist.

Univ.-Prof. Dr. Alexander Van der Bellen, Abgeordneter der Grünen zum Nationalrat, teilte die Auffassung von Professor Grübler und fügte hinzu, dass eine Ökologisierung des Steuersystems notwendig ist. Er sieht vor allem Steuern und Preispolitik als geeignete Steuermechanismen, um die  Nachfrage zu regulieren. Die Katastrophe in Fukushima war ein Rückschlag für die Atomenergieindustrie, die europäischen Statten setzen trotzdem nicht genug ausreichende Handlungen, um das Klimaproblem zu lösen. Österreich könnte etwa auf dem Gebiet der Hybridautos oder bei der Sanierung der öffentlichen Gebäude viel bewegen.

Als künstlerischen Ausklang wurde den Teilnehmern am Abend des intensiven Tages noch hohe Kunst geboten: Dr. André Alvarado-Dupuy vom Kunsthistorischen Museum Wien präsentierte ein Werk von Diego Velàzquez, nämlich ein Portrait der Spanischen Infantin Margarita Theresa. Wie Dr. Konrad Schlegel vom KHM bei seiner Besprechung des Bildes darlegte, handelt es sich dabei um ein Musterbeispiel von königlicher Kunst, an dem sich die Sozialgeschichte der Europäischen Fürstenhäuser zeigen lässt. Zudem ist die portraitierte Spanierin, eine Habsburgerin, auch für die Kenner der österreichischen Geschichte keine Unbekannte: Sie heiratete ihren Onkel und gleichzeitig Cousin Leopold, der als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Wien residierte. Sowohl die Reise der Infantin als auch die Hochzeit in Wien sind schillernde Beispiele der Entfaltung von barocker Repräsentation. Nicht vergessen wurde jedoch auch die wichtige und nicht unbedingt positive Rolle der Kaiserin bei der großen Judenverfolgung Leopolds I.

 

Donnerstag Vormittag

Der zweite Tag des Sommerdiskurses der Sommerhochschule Wien wurde mit dem Vortrag von Ass.- Prof. Dr. Elisabeth Holzleithner, Assistenzprofessorin am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien, eröffnet.

Mit ihrem Vortrag „Quoten im Spannungsfeld von Freiheit und Regulierung“ beleuchtete sie Sinn und Sinnhaftigkeit von Quotenregelung.

Eine Quotenregelung soll der Unterrepräsentation von bestimmten Gruppen entgegenwirken, da sich eine angemessene Repräsentation nicht von selbst eingestellt hat. Der Fokus der Vertragenden lag auf der Gruppe der Frauen. Diese sehen sich mit diskriminierenden Strukturen konfrontiert, welche den freien Zugang zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen hindert oder auch erschwert.

Um eine bestimmte Quote zu erreichen, sollen bei gleicher oder hinreichender Qualifikation der Bewerberin, diese einen Vorzug vor ihrem Mitbewerber genießen. Somit ergibt sich aber auch eine Benachteiligung ihres Mitbewerbes, die einer Rechtfertigung bedarf.

Verschiedenen Rechtfertigungsgründe für die Quotenregelungen haben sich herauskristallisiert:

In der Vergangenheit ist den Frauen durch rechtliche Regelungen und soziale Gegebenheiten Unrecht in Form von Benachteiligungen zugefügt worden; nun soll dies durch Vorzug einer Person aus dieser diskriminierten Gruppe wiedergutgemacht werden. Der Vorzug eines Mitgliedes der Gruppe stellt somit die Kompensation für Unrecht dar, welches der Gruppe in der Vergangenheit widerfahren ist. Dieses Argument muss jedoch im historischen Kontext der 1970er Jahre gesehen werden. Zu dieser Zeit war die Diskriminierung der Frauen durch rechtliche Regelungen in einer stärkeren Form präsent, deshalb hat dieser Begründungsversuch für die Notwendigkeit von Quotenregelungen heutzutage nicht mehr dieselbe Zugkraft, wie damals. Zwar ist nun ein Diskriminierungsverbot von Frauen auf vielen Ebenen rechtlich verankert, jedoch konnte sich eine Chancengleichheit für Frauen aufgrund der diskriminierenden Strukturen nicht von selbst herstellen. Um diese diskriminierenden Strukturen auszuhebeln, erscheint es verständlich, dass eben Quotierungen eingeführt. Die formale Gleichbehandlung wird gewandelt in eine Ungleichbehandlung, welche erst zu einer materiellen Gleichheit führt. „Nicht jede Ungleichbehandlung ist eine Diskriminierung“, fasst Dr. Holzleithner zusammen.

Die vorrangige Berücksichtigung von Frauen gewährleistet ebenso die Vielfalt und gilt somit auch deshalb als eine nutzbringende Regelung.

Auf die Frage hin, wie der Tatbestand der gleichen Qualifikation zu verstehen ist, erläutert Dr. Holzleithner, dass dieses Merkmal nicht zu strikt verstanden werden darf. „Auslegen muss man dies wohl so, dass die Frau in den relevanten Punkten gleich qualifiziert ist.“, antwortet sie; als gelungen sieht sie den Tatbestand wohl aber auch nicht an. Überlegungen zum Ersatz des Erfordernisses der gleichen Qualifikation hin zu einer hinreichenden Qualifikation, sind wohl zu begrüßen. Dies würde neben der Praktikabilität auch den Vorteil haben, dass Quotierungen aufgrund des weiteren Anwendungsbereiches eine Steigerung der Effektivität erfahren würden. „Es muss wohl erst eine Panne passieren, damit zwei Bewerber als gleich qualifiziert betrachtet werden“, erläutert Dr. Holzleithner.

Während der Podiumsdiskussion trat unter anderem auch die Frage auf, wie der Umgang und die Rechtfertigung der Quotierungen zugunsten von Frauen aussehen kann und soll, wenn gerade diese zu einer Benachteiligung von Mitgliedern ebenfalls strukturell diskriminierten Gruppen (beispielsweise diskriminierte Gruppen aufgrund der ethnischen Herkunft )geführt hat. Dies sei laut Dr. Holzleithner eine der schwierigsten Fragen überhaupt, welche sich im Zusammenhang von Quotenregelungen stellt und wohl am Besten durch beigefügte Härteklauseln zugunsten des Mitbewerbers in den Griff zu bekommen, denn nicht immer sei die Frau in einer schlechteren Position.

Prägnant formulierte Dr. Holzleithner schon zu Beginn ihres Vortrages: „Der Begriff der Quotenfrau  ist keine Zierde, aber politische Notwendigkeit“.

 

Donnerstag Nachmittag

Das Nachmittagsprogramm ging der Frage nach der Bedeutung von Freiheit und Regulierung im Gesundheitssystem nach. Zu diesem Thema präsentierte Dr. Thomas Czypionka, Senior Researcher am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien, anhand der Beispiele USA und Niederlanden die unterschiedlichen Auswirkungen zweier Entwicklungen die im Spannungsverhältnis von Libertärismus und Egalitarismus. Während die USA, durch die Gesundheitsreform dieses Jahres („Patient Protection and Affordable Care Act“), einen Schritt weg von ihren libertären wirtschaftspolitischen Tradition gemacht hat, hat in den Niederlanden seit dem Dekker-Plan 1986 eine Privatisierung des Versicherungswesen, die jedoch teilweise gesetzlich reguliert ist, stattfindet. Trotz der Nachteile, mit denen das libertäre amerikanische System einher ging (geringe Lebenserwartung, hohe Kindersterblichkeit, gleichzeitig hohe Gesundheitsausgaben in % des BIP, usw.), stießen die Reformversuche auf harten Widerstand. Gegen einen freien Markt im Gesundheitswesen sprechen daher laut Dr. Czypionka mehrere Gründe: Die Informationsasymmetrie, der besondere Gütercharakter in diesem Bereich, die natürliche Entstehung von Monopolen, usw. In den Niederlanden wurden versucht, durch Privatisierung einen Versicherungswettbewerb zu etablieren, der die Solidarität, die Effizienz und die Qualität steigern sollte. Dafür wurde jedoch kein völlig freier Markt installiert, sondern ein System mit sogenannten „managed competition“, das durch einkommensabhängige Zahlungen der Arbeitgeber und staatlichen Beiträgen finanziert wird. Folgen dieses Systemwandels waren jedoch nicht durchwegs positiv. Der Wettbewerb zielte vor allem auf den Preis statt auf die Qualität der Leistung und führte zu eher erhöhten Kosten für Marketing und Management, wodurch auch die Prämien stiegen. Als Fazit erklärte Dr. Czypionka, dass sich die Erkenntnis, dass Freiheit und Regulierung Hand in Hand gingen durchsetzen sollte, aber Regulierung  differenziert betrachtet werden müsse, wobei zwischen Ausmaß, Bereich und Instrument zu unterscheiden sei. Während ein stark reguliertes System wie das österreichische Nachteile in der Effizienz habe, ist auch ein zu starker Wettbewerb der Versicherungen nicht zu empfehlen. Unterstützt werden sollte jedoch ein Wettbewerb der Leistungserbringer, weil dadurch die Effizienz gesteigert werden könne.

In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es vordergründig um das österreichische System. Prof. Schrammel, Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, stellte die Frage in den Raum, ob es wirklich effizient sei, dass alles, was behandelt werden kann, auch von der Sozialversicherung bezahlt wird, und plädierte für eine bessere Strukturierung des Verteilungsmechanismus.

Dr. Gleitsmann, Abteilungsleiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit der WKO, betonte den Reformbedarf im österreichischen Gesundheitssystem, das sehr Spitals-lastig, wenig patientenorientiert und zu wenig auf Prävention abzielt.

Dr. Wöss, Leiter der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien, pflichtet zwar bei das in einigen Bereichen ein Reformbedarf bestehe, die Grundstrukturen des österreichischen Gesundheitssystem in den Grundstrukturen (System der Pflichtversicherung; Leistung, die nach Bedarf orientiert ist; solidarische Finanzierung; niedrige Verwaltungskosten) jedoch sehr gut sei. Die Probleme lägen in den hohen Kosten, der mangelnden Effizienz, der Kompetenzverteilung und der mangelnden Unterstützung von präventiven Gesundheitsmaßnahmen.

Dr. Scheider, Geschäftsführer der SeneCura Holding, führte vor allem seine Erfahrungen zu Freiheit und Regulierung aus der Arbeitswelt ein. Dabei strich er hervor, dass er gesetzliche Regulierung als Einschränkung für die Problemlösung auf persönlicher Ebene, die anzustreben sei, empfindet.

 

Freitag Vormittag

Der letzte Seminartag wurde mit einem Themenbereich eingeleitet, dessen Aktualität als das Thema beschlossen wurde, noch nicht erkennbar war: Die Lehren aus der Finanzkrise. Daher wies Mag. Ittner, Direktoriumsmitglied der Österreichischen Nationalbank, auch eingangs darauf hin, dass die Krise durch die Schuldenprobleme einiger europäischer Staaten noch nicht vorbei ist. Der folgende Vortrag gab einen guten Überblick über die Hintergründe der Finanzkrise. Die drei Hauptgründe sieht er einerseits in der Entwicklung von Finanzinstrumenten im Bereich der Verbriefung, andererseits im Vertrauen vieler Leute in ein ewiges Wachstum der Märkte, wie es vor 2007 der Fall war, aber auch in der Gier. Dazu kamen Fehleinschätzungen (von Banken, Ratingagenturen, aber auch der Aufsichtsbehörden), verzerrte Anreizstrukturen (moral hazard, Boni und Externatlitäten) und die Globalisierung der Finanzmärkte (weltweite Auswirkung der Verbriefung von NINJNA-Kredite in den USA). In weiterer Folge erklärte er auch, wie sich die Finanzkrise zu dem heutigen Schuldenproblem weiterentwickelte. Aufgrund der durch die Krise ausgelösten Rezession, griff die Politik ein, was zu einer Verschuldung der Staaten führte. In einem weiteren Schritt stellte er die Lehren vor, die man aus der Krise ziehen sollte: die Funktion der Banken sollten sich weg vom Investmentbanking bewegen, und sich wieder auf die Finanzierung der Realwirtschaft konzentrieren. Außerdem sollte man Möglichkeiten finden, mit den Krisen, die Teil eines jeden Wirtschaftsystems sind, umzugehen. Neben Einlagensicherung und Krisenmanagement sollten auch die Aufsichtsstrukturen verändert werden, was durch Basel III auf europäischer Ebene auch versucht wird.

Anschließend gab auch Dr. Schubert, Generaldirektor  für Statistik der Europäischen Zentralbank, einen Einblick in die „Finanzkrise aus der Sicht der EZB“. Er führte zuerst aus, dass die Probleme der Staatsverschuldung mit anderen strukturellen Problemen der betroffenen Ländern zusammenhängt. Dabei betonte er vor allem das Leistungsbilanzdefizit von Griechenland und Portugal, sowie die exorbitant hohe Steigerung der Lohnstückkosten in den verschuldeten Ländern. Seiner Meinung nach besteht die Lösung der Problems, in der Förderung der wirtschaftlichen Integration Europas. Vor allem die wirtschaftspolitische Steuerung sollte verbessert werden. Neben  der Konsolidierung der Budgetpolitik, sollte Krisenprävention ein permanenter Europäischer Stabilisierungsmechanismus, ein europäischer Währungsfonds und die Zentralisierung verlässlicher Daten über den Zustand der nationalen Finanzen im Vordergrund stehen. Die EZB selbst reagiert mit teils unkonventionellen Maßnahmen auf die Krise. Neben der langfristigen Leitzinsreduktion wurden auch die Laufzeiten verlängert und Staatsanleihen der betroffenen Staaten gekauft.

 

Die anschließende Podiumsdiskussion wurde von Dr. Marchart, Vorstandsvorsitzende der Raiffeisen Centrobank AG, eingeleitet, die aus der Sicht einer Investmentbank argumentierte. Sie betonte die mangelnde Differenzierung im öffentlichen Diskurs zwischen den verschiedenen Banken. So sollte nach Struktur, Eigentümer und Geschäftsmodell unterschieden werden. Auch die Dämonisierung von Investmentbanken per se sei falsch, da die Produkte der Investmentbanken teilweise den Bedürfnissen der Realwirtschaft entsprechen. Das Problem sei jedoch die Pervertierung einiger Finanzprodukte. Zudem kritisierte sie die Medien, die den Eindruck vermitteln, es würde nichts zur Vermeidung weiterer Krisen gemacht, dabei würde aber an einer koordinierten europäischen Bankenpolitik gearbeitet.

Mag. Dr. Bosek, Vorstandsmitglied der Erste Bank, stimmte auch zu, dass man bei den Banken differenzieren müsste. Nichtsdestotrotz gehen viele Bankenprodukte nicht auf die Bedürfnisse der Realwirtschaft ein. Weiters ging er auf die Auswirkungen von Basel III auf die österreichischen Wirtschaft ein. Einerseits unterstützte er die Forderung nach Erhöhung der Eigenkapitalanteile von Banken. Gleichzeitig wies er daraufhin, dass dadurch die Kreditvergabe teurer würde, was den kleinteiligen Unternehmen, die stark auf Kredite bauen, schaden könnte. Daher appellierte er an eine Umstrukturierung österreichischer Unternehmen.

Dr. Brandl, Partner der Rechtsanwaltskanzlei Brandl & Talos, kritisierte die mangelnde Rücksichtnahme auf die Gesamtwirtschaft bei der Gesetzgebung anlässlich der Finanzkrise. Des Weiteren rückte er die Frage nach den historischen Lösungsansätzen von Krisen, die oft wenn nicht immer im Drücken des Reset-Buttons „Krieg“ endete.

 

Freitag Nachmittag

Nach einleitenden Worten von Moderator Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Fogó, in welchen dieser auf die Eigenschaft der Referenten als role models der Branche und Leuchttürme des IT-Bereichs hinwies, referierte Dr. Georg Serentschy, der als studierter Physiker und Mathematiker im nationalen Bereich zum Geschäftsführer Telekommunikation und Post der Rundfunk- und Regulierungs-GmbH und im internationalen Bereich darüber hinaus seit 2011 zum stellvertretenden Vorsitzenden der europäischen Regulierungsbehörde BEREC, sowie für 2012 zu deren Vorsitzenden ernannt wurde, zum Thema „Freiheit und Regulierung in der Telekommunikation“. Er hob hervor, dass Regulierung und Freiheit nur in scheinbarem Widerspruch zueinander stehen, da auch, wenn daraus Beschränkungen für Unternehmer resultieren, neues Business nur durch Regulierung und einem daraus folgenden Aufbrechen von Monopolen entstehen kann. Er erklärt seine Ansicht vor allem damit, dass Freiheit mit den Mitteln des Rechts geschaffen wird, folglich mit Regulierung. Im Wesentlichen baute Dr. Seretnschy seine Ausführungen um die Punkte (1) Spannungsbogen zwischen Investitionsanreizen und Wettbewerbsforderungen, (2) Infrastrukturpolitik und (3) Netzwerkgesellschaft auf.

Im Anschluss daran sprach Prof. Thomas Hoeren, Universitätsprofessor für Bürgerliches Recht und internationales Wirtschaftsrecht, sowie Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, dessen umfassende publizistische Tätigkeit in unterschiedlichsten Bereichen von Prof. Forgó hervorgehoben wurde, über die seiner Meinung nach einem plattentektonischem Problem gleichkommenden Unzulänglichkeiten des geltenden Urheberrechts. Nach detaillierter Besprechung einzelner Kritikpunkte stellte Prof. Hoeren abschließend fest, dass Verfahrensgerechtigkeit als Minimum zu gelten habe.

Es folgte nach einer kurzen Kaffeepause das Impulsstatement von Dr. Irina Michalowitz, die als EU-Repräsentantin der Telekom Austria Group die Aufgaben der Regulierung aus Sicht des Unternehmens anhand einiger konkreter Beispiele darlegte, wobei sie feststellte, dass ein Ordnungsrahmen durchaus wünschenswert wäre, jedoch dabei die Gefahr der Steuerung nicht übersehen werden dürfe.

Anschließend zeigte Dr. Florian Philapitsch, Stellvertreter der Kommunikationsbehörde Austria, unter Zuhilfenahme des einprägsamen Bildes „Bergdrama“ Probleme im Zusammenhang mit der Regulierung neuer Medien auf.

Dr. Klaus M. Steinmaurer, Leiter des Rechts- und Regulierungsbereichs bei T-Mobile Austria GmbH, sprach schlussendlich über den Technologiestandort Österreich und vervollständigte mit seinen diesbezüglichen Ausführungen den Diskussionsnachmittag. Wesentlich wäre seiner Ansicht nach, dass ein neues Regulierungskonzept entworfen würde, welches den Wandel des Infrastrukturwettbewerbs hin zu einem Dienstewettbewerb berücksichtige.

In der anschließenden lebhaften Diskussion wurden vor allem die Themenbereiche „internet of things“, Roaming und die Rolle der Gerichte bei der Weiterentwicklung von Urheberrecht von den Vortragenden noch näher herausgearbeitet.

 

Zur mittlerweile traditionellen Lesung reiste die für den deutschen Buchpreis 2008 nominierte Schriftstellerin Olga Flor an, um aus ihrem Roman Kollateralschaden zu lesen. Sehr lebhaft trug die Autorin aus ihrem Werk vor und verriet anschließend Hintergrundinformationen zu den handelnden Personen.