Bericht 2014

Sommerdiskurs 2014: Szenarien für Europa

30. Juli - 1. August 2014 | Strobl/Wolfgangsee

 

Inmitten der malerischen Landschaft des Salzkammergutes fand von 30. Juli bis 1. August der Sommerdiskurs am Campus der Sommerhochschule der Universität Wien am Wolfgangsee statt. In diesem Jahr stand der Diskurs im Zeichen des Generalthemas „Von der (Un-)Gewissheit der Zukunft – Szenarien für Europa“. Dafür konnten wieder eine Vielzahl an hochkarätigen Vortragenden und Diskussionsteilnehmer gewonnen werden.

Der Initiator des Sommerdiskurses und Direktor der Sommerhochschule Univ.-Prof. Dr. Franz-Stefan Meissel gab in seiner Begrüßung der Freude Ausdruck, dass die Veranstaltung bereits das siebente Mal Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft, Verwaltung und aus dem Kulturbereich mit Kapazitäten aus der Wissenschaft und den Studierenden der Sommerhochschule zusammen bringe, um in dem einzigartigen Ambiente des Bürglgutes anregende Diskussionen zu führen. Als Eröffnungsredner fungierte der kaufmännische Direktor des Kunsthistorischen Museums, Dr. Paul Frey, welcher der „Ungewissheit in der Kunst“ anhand des „kunsthistorischen Krimis“ der Sammlungsgeschichte rund um die Bronzegruppe „Europa und der Stier“ in der Kunstkammer nachging. Ergänzt wurde diese gelungene Einführung in das Generalthema durch anschauliche Erläuterungen zur kunsthistorischen Einordnung des Sujets durch den KHM-Kunstvermittler Mag. Daniel Uchtmann.

 

Das erste Diskussionspanel des Sommerdiskurses setzte sich mit europäischen Aspekten des Sozialrechts auseinander. Univ.-Prof. Dr. Michaela Windisch-Grätz leitete den Themenblock mit einem Überblick über die Rechtsgrundlage der europäischen Personenfreizügigkeit ein. Dabei legte sie die unterschiedlichen Probleme und Entwicklungen der sozialrechtlichen Integration von wirtschaftlich tätigen und nicht wirtschaftlich tätigen Unionsbürgern.
Unmittelbar anschließend stellte OGH-Hofrat Univ.-Prof. Dr. Matthias Neumayr zentrale Entscheidungen des OGH und des EuGH zu Familienleistungen (Pflegegeld, Unterhaltsvorschuss, Familienbeihilfe) für Unionsbürger vor. Dabei legte er die stark kasuistische Rechtsprechung von grenzüberschreitenden Sachverhalten dar, in denen die Frage nach sozialrechtlichen Ansprüchen behandelt wurde. Dr. Rolf Gleißner (WKO) ging sodann in seinem Impulsreferat auf die Rolle von Lohndumping und Schwarzarbeit im europäischen Sozialsystem ein und erläuterte die österreichischen und europäischen Maßnahmen, die dagegen ergriffen wurden. Seinen Vortrag schloss er mit einem politischen Statement zur europäischen Sozialpolitik, in dem er zwar die Wichtigkeit des Sozialstaats betonte, jedoch gleichzeitig darauf aufmerksam machte, dass dieser nur durch hochproduktive, nachhaltige Wirtschaften finanzierbar sei. Dr. Josef Wöss (AK Wien) nahm für seine Ausführungen zu den europäischen Aspekten des Sozialrechts das Szenario der Finanzkrise 2008 zum Ausgangspunkt. Nach einer Analyse der Krise und der Mythen ihrer Entstehung, bemängelte er bestimmte, darauf folgende Maßnahmen der europäischen Politik (Austeritätspolitik) und strich die positive Rolle des Sozialstaats bei der Bewältigung der Krise hervor. Abschließend schlug er Änderungen vor, die die EU in Zukunft besser vor Krisen schützen sollten. Eine große Aufgabe für das Europa des 21. Jahrhunderts sah er darin, den Sozialstaat zu bewahren und den neuen Herausforderungen entsprechend weiter zu entwickeln.

Die Vorträge boten viele Ansätze für eine Vielzahl an Fragen, Anmerkungen und Diskussionen. Die rege Teilnahme des Publikums führte zu einer Diskussionen, für die der vorgegebenen Rahmen von einer Stunde kaum ausreichte.

 

Die Nachmittagssession war dem Thema „Migration und Integration in Europe“ gewidmet. Erster Redner war Univ.-Prof. Dr. Roland Verwiebe vom Institut für Soziologie der Universität Wien. In seinem Vortrag veranschaulichte er die Komplexität und das Facettenreichtum von „Migration“. Dabei stellte er die unterschiedlichen Aspekte, Konzepte und Formen von „Migration“ vor. Zudem ging er zentralen Fragen in diesem Bereich anhand von statistischem Material auf den Grund: Welche Gründe für Migration gibt es? Was fördert Migration? Wer migriert?

Im Anschluss daran folgte ein Vortrag von Prof. Dr. Andreas Schloenhardt, der ua als Gastprofessor am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien tätig ist. Der auch für UNO-Organisationen tätige Experte konzentrierte sich auf die Flüchtlingsströme nach Westeuropa. Neben einem kritischen Blick auf die zurzeit angewandten Methoden im Umgang mit Flüchtlingen (z.B. „Air Lifting“, „Resettlement“, „Offshore Detention and Processing“) stellte er auch eigene Reformvorschläge wie das Erweitern der in der Genfer Konvention genannten Fluchtgründe zur Diskussion.

Die daran anschließende Podiumsdiskussion, die von Dr. Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des Standards, moderierte wurde, begann mit Grundsatz-Statements der Panelteilnehmer. MMag. Margit Kreuzhuber, Referentin der WKO, behandelte die Frage, warum trotz steigender Arbeitslosigkeit ein Fachkräftemangel herrsche, und äußerte sich zu den Maßnahmen Österreichs, um die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften zu erhöhen (Rot-Weiß-Rot-Card). Mag. Evelyn Regner, EU-Parlamentsabgeordnete der SPÖ, stellte die Probleme der Flüchtlinge in den Mittelpunkt ihres Statements und kritisierte den Mangel an Aufmerksamkeit, den die Politik dieser Frage widmete. Vizerektor Univ.-Prof. Dr. Heinz Fassmann fokussierte auf die demographischen Entwicklungen in Europa und die damit einhergehenden Probleme. Die Podiumsdiskussion drehte sich unter anderem um die Frage nach dem europäischen Gesamtkonzept in Bezug auf Migration und den Missständen im Umgang mit innereuropäischen Migranten. Den Abschluss bildete die Miteinbeziehung des Publikums, das mit zahlreichen Wortmeldungen und Fragen spannende Diskussionen in Gang setzte.

 

Einen würdigen Abschluss erfuhr der erste Podiumstag durch ein Kammerkonzert von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker. Das Streichquartett, bestehend aus Daniel Froschauer, Marian Leško, Wolf Dieter Rath und Raphael Flieder, gaben in dem bis zum letzten Platz gefüllten Saal die „Kleine Nachtmusik“ sowie Quartette von Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn, sowie als Zugabe noch „Thaïs“ von Jules Massenet und einen Marsch von Schrammel zum Besten.

 

Am Vormittag des zweiten Seminartages konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen zwei Workshops entscheiden. Während sich der erste Workshop mit „Compliance und Unternehmenskultur“ befasste, widmete sich der zweite „Europes Future – Lessons from the Past?“.

Eingeleitet wurde der von Franz-Stefan Meissel moderierte Compliance-Workshop mit Impulsstatements der Diskutanten am Podium. Zu Beginn erörterte MMag. Dr. Christina Keinert-Kisin (Rechtsanwaltsanwärterin bei Baker&McKenzie und Lektorin an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien) die strafrechtliche Seite der Nicht-Einhaltung von Compliance unter besonderer Berücksichtigung des Untreuetatbestandes. Weiters erörterte sie den strafrechtlichen Begriff der Korruption und dessen einzelne Tatbestandsmerkmale. Einen praktischen Einblick in den Umgang mit Compliance in dem von ihm geleiteten Unternehmen gab sodann Gen.Dir. Dr. Josef Schmidinger, Vorstandsvorsitzender der sBausparkasse. Als besonders wichtig strich er die Unabhängigkeit der Compliance-Funktion hervor, die unter anderem in der direkten Unterstellung unter den Gesamtvorstand verwirklicht ist. Die zentrale Aufgabe der Compliance sieht Schmidinger in der Unterstützung beim Management des Reputationsrisikos insgesamt, während die Verantwortung für die Einhaltung der Vorschriften zur Verantwortung auch der einzelnen Führungskräfte und Mitarbeiter selbst gehört.

Dr. Thorsten Güldner-Bervoets (Head of Capital Markets & Financial Sanctions Compliance bei Raiffeisen Bank International AG) behandelte in seinem Vortrag Besonderheiten der Compliance im internationalen Bankensektor. Dieser sei vor allem durch die breiten Themenbereiche, die hohe Regulierung und die Existenz spezieller Aufsichtsorgane gekennzeichnet. Außerdem stellte er Maßnahmen gegen Geldwäscherei (die vor allem auf Richtlinien der EU beruhen) und gegen Terrorismusfinanzierung sowie die Mechanismen von Sanktionsverordnungen vor.

Von der Seite des Journalismus und der Medienwirtschaft hielt Dr. Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin und Co-Herausgeberin von Der Standard ein Plädoyer für die Einhaltung von Compliance und altmodischem „Anstand“ auch im Bereich des Journalismus: Ihre Kritik liegt darin, dass gerade diejenigen, die andere kritisieren, sich aus den Regelungen der Compliance ausnehmen würden. Sie erzählte von ihren Bemühungen um die Einführung einer Regelung von Compliance für Medien in Österreich, die letztendlich in einer akkordierten Aktion des Standards, der Presse und des Wirtschaftsblattes mündete. Wie auch die anderen Diskutanten hob sie insbesondere die Wichtigkeit der Bewusstseinsbildung der Mitarbeiter als zentralen Punkt der Compliance hervor.

Dr. Johannes Freiler (Group Compliance Officer bei Rosenbauer International AG) berichtete von seinen eigenen Erfahrungen als langjähriger Compliance Officer in verschiedenen Unternehmen. Dabei konstatierte er ein großes Spannungsfeld zwischen Compliance und der tatsächlich gelebten Unternehmenskultur. Als größte Hürden für Compliance in Unternehmen nannte er den Führungsstil des Managements, vorhandene Strukturen, räumliche und sprachliche Unterschiede, Unternehmensmythen und vor allem die unternehmensinterne Kommunikation.

Anschließend an die Vorträge der einzelnen Diskutanten bildeten diese mit den TeilnehmerInnen des Sommerdiskurses drei verschiedene Arbeitsgruppen, in denen Beispiele aus der Praxis anschaulich erklärt und erörtert wurden. Nach der Präsentation der Ergebnisse der einzelnen Gruppen schloss der Workshop mit einer kurzen Diskussionsrunde am Podium.

 

Im zweiten Workshop „Europe’s Future ­– Lessons from the Past?“ gingen die TeilnehmerInnen unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Sylvia Kritzinger und Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb der Frage nach, welche Lehren Europa aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts für die Zukunft ziehen kann.  Univ.-Prof. Dr. Sylvia Kritzinger (Professorin für Methoden der Sozialwissenschaften an der Universität Wien) gab eine Einführung in die politikwissenschaftliche Cleavage-Theorie. Sie stellte die Entwicklung gesellschaftlicher Konfliktlinien (z.B Kapital-Arbeit, Stadt-Land, Kirche-Staat) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und deren Transformation in politische Parteien dar. Darüber hinaus wies sie auf die Entstehung neuer Konfliktlinien durch aktuelle Entwicklungen wie Globalisierung („winners and losers“) hin. Im Anschluss bot Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb (Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien) eine historische Perspektive. Er zeichnete die Entwicklungen nach, die zu den beiden Weltkriegen führten und wies auf Ähnlichkeiten und Gefahren in der heutigen Zeit hin. Nach den Eröffnungsvorträgen bildeten die TeilnehmerInnen kleinere Gruppen und nutzten die Gelegenheit, das eben Gehörte sowie weitere Aspekte zu diskutieren. Unter anderem wurde über die gesellschaftlichen Implikationen von Immigration, die zunehmende Bedeutung nationalistischer Bewegungen, die Entstehung neuer politischer Parteien und den Umgang etablierter Parteien mit diesen Themen gesprochen. Abschließend wurden die Ergebnisse und offenen Fragen dieser Diskussionen von einem Sprecher jeder Gruppe präsentiert.

 

Der akademische Abschluss des Sommerdiskurses fand unter dem Titel „Vom Abgrund und dem Schritt darüber hinaus: Österreichische Medienpolitik zwischen Gratismentalität, Konvergenz und Konzentration“ statt.  Nach einleitenden Worten des Moderators Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó,  betonte Dr. Alfred Grinschgl, Geschäftsführer der RTR-GmbH, die zunehmende Reichweite von Gratiszeitungen und Privatsendern in Österreich. Obwohl er durchaus eine gegenseitige Annäherung konstatierte (z.B. TV on demand, Tvtheken), vertrat er dennoch die Meinung, dass neue Medien traditionelle nicht verdrängen, sondern komplementieren. Weiters trat er für eine europäische Harmonisierung der Medienregulierung in bestimmten Fragen ein.

Anschließend relativierte Dr. Matthias Traimer vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts den Begriff der Gratismedien und stellte klar, dass auch deren Nutzer ein Entgelt im weiteren Sinne leisten müssen, zB Internetuser, die ihre Daten preisgeben oder Konsumenten von Privatfernsehen, die Werbezeit in Kauf nehmen. Außerdem bekräftigte er die demokratiepolitisch wichtige Funktion eines unabhängigen öffentlichen Rundfunks und die Aufgabe des Staates, die Qualität der Medien zu fördern. Sein Beitrag endete mit einem Vorausblick auf aktuelle Regierungsvorhaben wie das Leistungsschutzrecht für Verlage gegenüber Suchmaschinenanbietern und eine Festplattenabgabe.

Das Impulsstatement der dritten Diskussionteilnehmerin Dr. Daniela Kraus, Geschäftsführerin von „fjum_forum journalismus und medien“, beschäftigte sich mit der Bedeutung der angesprochenen Entwicklungen auf den modernen Journalismus und stellte eine Krise des traditionellen Geschäftsmodells fest. Insbesondere betonte sie das Steigen die Anforderungen an den einzelnen, oft schlecht bezahlten Journalisten im Hinblick auf eine multimediale Berichterstattung unter ständigem Zeitdruck. Problematisch an der Verflechtung von Medienunternehmen ist laut Kraus die Verringerung der Auswahl möglicher Arbeitgeber, die eine Bedrohung für die journalistische Unabhängigkeit darstellen kann.

Dkfm. Helmut Hanusch, Generalbevollmächtigter der Verlagsgruppe News GmbH, warf nach einer Darstellung der Größenordnung des österreichischen Werbemarktes im Vergleich zu Google (lediglich 3,9% des Umsatzes von Google werden im gesamten österreichischen Werbemarkt erwirtschaftet) die Frage auf, wann ein Unternehmen in Österreich als marktbeherrschend angesehen werden kann. Des Weiteren konstatierte er ein relativ konstantes Leseverhalten von Zeitungen der Österreicher, das seiner Meinung nach auf die Gratismedien zurückzuführen ist. Für klassische Verlage sieht Hanusch eine klare Bedrohung durch das Internet, auf die seiner Meinung nach bis jetzt nicht angemessen reagiert worden ist. Als zielführende Maßnahme nannte er das zielgruppenadäquate Anbieten von Produkten und Leistungen wie beispielsweise die Gründung der Rechtsdatenbank. Insgesamt sprach auch er sich in seinem Beitrag für unabhängige Medien und die Aufrechterhaltung von journalistischen Inhalten und deren Qualität aus.

 

Wie jedes Jahr schloss der Sommerdiskurs auch heuer mit einem feierlichen Abendessen, das diesmal nach einer Bootsfahrt über den Wolfgangsee im Weißen Rössel in St. Wolfgang stattfand. Das wunderschöne Ambiente erlaubte es den Teilnehmern die interessanten Themen nochmals Revue passieren zu lassen und bot einen angemessenen Abschluss für einen äußerst anregenden und spannenden Sommerdiskurses, der von Seiten der Sommerhochschule organisatorisch wieder äußerst engagiert und professionell von Nina Gruber und Rebekka Lajos betreut wurde.